Die einen schwärmen von den Möglichkeiten und verbinden sich zu riesigen Online-Netzwerken. Andere sehen Social Media vor allem als Zeitfresser, Online-Stammtische und warnen vor Datenklau, Ablenkung und dem endgültigen Verlust der Privatsphäre.
Die mit Hilfe von Facebook, Twitter und Blogs erfolgreichen Revolutionen in den nordafrikanischen Ländern scheinen die erste Gruppe zu bestätigen. Was den Erfolg ausmachte: In Tunesien, Ägypten und Libyen wurde nicht nur online protestiert, die Menschen gingen danach auch auf die Straße und blieben dort, bis die Regierungen fielen!
Der Austausch im Internet kann meinungsbildend sein, Wissen vermitteln, eine kathartische Funktion haben oder einfach Spaß machen. Wirklich machtvolle Instrumente sind Social Media erst dann, wenn ihr Einsatz zu konkreten Handlungen – oder, als erster Schritt, zum Gewinn der Meinungshoheit in der „analogen“ Welt führt.
Hier die Prezi-Präsentation unseres Vortrages zu diesem Thema bei der 10jahres Feier der VSG Produktionsschule in den Tabakwerken Linz:
Nutzen statt besitzen
Reduziert man den Einsatz von Social Media darauf, Macht zu generieren, bleibt ein wichtiger Teil dieser Medien unbeachtet – das Soziale. In den neue Formen der Interaktion steht nicht mehr die Urheberschaft, sondern das Nutzungsrecht im Vordergrund. So lautet die Philosophie der Online-Enzyklopädie Wikipedia: Ich erstelle einen Beitrag und stelle ihn anderen zur Verfügung. Da ich nicht der Eigentümer des Beitrages bin, kann jede/r daran weiterarbeiten, ihn ergänzen, verändern, benutzen, ja sogar löschen. Durch das Geben und Wissen vieler entsteht Großes. Von Wissenschaft und Forschung lange belächelt, hat Wikipedia in der Zwischenzeit das Niveau klassischer Enzyklopädien erreicht.
Aktualität, freier Zugang zu Informationen und Wissen, Diskussions- und Koordinationsmöglichkeiten sind die entscheidenden Pluspunkte von Social Media. Sie bewähren sich, wenn es um kooperatives gesellschaftliches Engagement geht, um Vernetzung, Mobilisierung und Zusammenarbeit, um Informations- und Kampagnenarbeit in Form autonomer Gegenöffentlichkeit. Es muss nicht gleich eine große österreichweite Protestaktion wie „Die Uni brennt!“ sein. Gerade im Lokalen und Regionalen wirken Social Media als Verstärker zur Face-to-face-Kommunikation. Ein Rat, ein Aufruf, ein Hilfsangebot oder eine Veranstaltungseinladung auf Facebook kann helfen, die private Lebenssituation eines/einer Einzelnen zu verbessern und dessen/deren Partizipation am gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben zu erhöhen.
Ignorierte Verbote
Während UnternehmerInnen noch über private Nutzung und Gefahren von Social Media am Arbeitsplatz diskutieren, sind ihre jungen ArbeitnehmerInnen schon zwei Schritte weiter. Die „Working Millenials“, die Internetgeneration der 18- bis 27-Jährigen, ignorieren einfach die hierarchischen Kontroll-, Kommunikations- und Koordinationsmechanismen im Unternehmen. Ob Verbot oder nicht: Zu ihrem Arbeitsalltag gehört der Austausch in Echtzeit mittels Instant Messaging. E-Mail war gestern. Über 40 Prozent der berufstätigen Millennials in Deutschland kommunizieren laut einer weltweiten Studie des Managementberatungs-Dienstleisters Accenture mit KollegInnen und KundInnen über Social Networks wie Facebook. Durch die selbstverständliche Nutzung von Social Media wirbeln junge Angestellte mit ihrem Kommunikationsverhalten Technologien und Strukturen besonders bei jenen Unternehmen durcheinander, die auf strenge Hierarchie und Gleichförmigkeit ausgerichtet sind. Die Arbeitswelten von jungen und älteren ArbeitnehmerInnen driften auseinander.
Naive Digital Natives
Kinder nehmen schon im frühen Alter als FußgängerInnen am Straßenverkehr teil. Würden Sie Ihr Kind daher auch gleich ein Fahrzeug durch die Großstadt lenken lassen, ohne entsprechende Ausbildung und Reife? Als „Digital Natives“ sind Kinder von klein auf mit dem Internet in Kontakt. Das Smartphone als Minicomputer ist schon bei Volksschulkindern ständiger Begleiter. Der Umgang im digitalen Verkehr muss jedoch auch gelernt werden. Allerdings gibt es derzeit kaum Institutionen, die dieses Wissen vermitteln. Die rasante Entwicklung, Vielfältigkeit und Komplexität überfordert die traditionellen Bildungsvermittler Eltern und Schule. Herkömmliche Schulungskonzepte sind beim Thema Social Media zum Scheitern verurteilt.
Kulturwandel in der Beziehung
Ob Rechtschreibung oder Social Media – jede Kulturtechnik braucht Richtlinien. Social Media Guidelines in der Erziehung oder im Unternehmen werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie genau mittels jener Arbeitsweise entstehen, die auch Social Media auszeichnet. Zuhören, diskutieren und jedem/jeder die Möglichkeit geben, sein/ihr Wissen und seine/ihre Erfahrungen einzubringen: Spielerischer Zugang, technisches Know-how, Rechtskenntnis, Risikobewusstsein und das Wissen, wie man Aktivitäten und Ideen in den Social Media wieder in der physischen Welt umsetzt. Das benötigt kein klassisches LehrerIn-SchülerIn-Verhältnis, keine Anweisungen von oben herab, sondern eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe.
Man kann sich übrigens sehr wohl darüber streiten ob Social Media etwas zu den Revolutionen beigetragen hat oder nicht. Revolutionen gab es schon immer – auch bevor das Internet erfunden worden ist.
Lieber Boris,
danke für dein Kommentar. Natürlich gab es Revolutionen bevor das Internet erfunden wurde, aber oft spielte auch bei denen eine „neue Technologie“ eine entscheidende Rolle. Es geht immer darum wie die unzufriedene Menge sich diese zu Nutze macht.
Kein vernünftiger Mensch behauptet, dass Social Media die Revolution verursacht haben. Beigetragen haben sie dazu vermutlich ebenso viel wie der Buchdruck bzw. die Presse zur Französischen Revolution.