Social Media, Sozialarbeit und Ermächtigung

Thomas Kreiseder, Kulturmanager und Kommunikationsberater aus Linz, hat mit Markus Luger von den Social Media Guides ein Interview zum Thema Social Media und Sozialarbeit geführt. Den Originalbeitrag findet ihr hier.
Lassen wir aber Thomas Kreiseder zu Wort kommen, seine Fragen sind fett geschrieben.

In deinem E-Mail ist mir die Signatur aufgefallen. Unter dem Namen steht als Berufsbezeichnung „social/media worker“. Ich habe mich gefragt: Ist das jetzt ein Beruf? Sind das mehrere Berufe? Wo liegt der Akzent?

Es sind zwei Berufe, die da fusionieren. Der staatlich geprüfte “Social Worker”, der ich bin (lacht) … und der Social Media-Interessierte, der andere dabei unterstützen möchte, Medien sinnvoll zu nutzen. Die Sozialarbeit passt mit den sozialen Medien sehr gut zusammen und es gibt Punkte, die sich überschneiden. Einerseits geht es um die Lebenswelt: Wo leben die Jugendlichen beziehungsweise meine Klienten? Andererseits stellt sich die Frage: Wie sehen sie ihre eigene Welt und inwieweit kann ich Einblick in diese Welt bekommen, um sie zu verstehen, um anders mit ihnen umzugehen oder um sie zu ermächtigen? Ermächtigung ist auch eines dieser Schlagwörter, die sowohl im Social Media Diskurs vorkommen als auch die Sozialarbeit seit jeher prägen. Das klingt grundsätzlich einmal recht gut, doch als Sozialarbeiter steht man vor der Herausforderung, die eigene Haltung immer wieder auf den Prüfstand stellen. Ich hoffe, das machen auch die Social Media Leute: “Zu was lade ich denn da eigentlich ein? Verlange ich eine Anpassung, nur weil ich mir denke, dass das klug ist?” Ich versuche also, mein Wissen aus der Sozialarbeit, die immer sehr selbstkritisch ist, in eine Medienwelt einzubringen, die das normalerweise nicht ist und eher Oberflächen verkauft.

Hast du ein Beispiel dafür?

Heute bin ich aus dem Haus gegangen und da parkte ein Van, an dem stand: „Emotionen wecken, Werte schaffen“. Ich habe mir gedacht: Wow – was die wohl herstellen? Und es waren … Teppichböden! (lacht). In den Social Media werden wir als Werbeflächen benutzt, um wiederum uns selber zu bewerben. Gleichzeitig prägen diese Plattformen auch positive Begriffe wie Teilhabe oder Empowerment. Das muss man sich also wirklich kritisch anschauen.

Wie ist es möglich, in diesen Kontexten auch andere Formen der Kommunikation, also abseits einer Werbelogik zu etablieren? Konntest du hier schon einen Standpunkt entwickeln?

Was ich bis jetzt beschrieben habe betrifft die Infrastruktur. Ich benutze ganz gerne den Vergleich mit dem Verkehrssystem: Wir haben Straßen gebaut und die Menschen fahren selbstverständlich mit dem Auto darauf. Ob ich jetzt betrunken und zu schnell an einer Schule vorbeifahre oder die Straße benutze, um Essen auf Rädern zu liefern – es stecken verschiedene Ziele dahinter. Dann gibt es manche, die einfach zum Spaß herumfahren. Man kann die Struktur sehr positiv nutzen und man kann eine Straße auch nützen, um Kriegsgeräte zu transportieren. Es steckt immer Sinn und Bedürfnis dahinter.

Ich möchte deinen Vergleich weiterführen. Es gibt unterschiedliche Infrastrukturen: zum Beispiel Autobahnen, wo es darum geht, möglichst schnell von einem Ort zum anderen zu kommen. Aber es gibt auch sogenannte Shared Spaces, bei denen stärker um ein kommunikatives Nebeneinander geht. Genau so wie im “realen” Raum scheinen wir im Netz auf gewisse Infrastrukturen gar nicht mehr verzichten zu können und wir sind darauf angewiesen. Siehst du das auch so?

Wenn man die Haltung hat, dass man bei solchen Dingen dabei sein muss, dann muss man auch dabei sein. Wenn man es aber nicht so wichtig findet, muss man wahrscheinlich auch nicht dabei sein. Das klingt etwas paradox. Wichtig ist mir, dass die Menschen diese neuen Medien nicht verdammen. Denn auch wenn ich kein Auto habe, sollte ich die Straßenverkehrsregeln halbwegs beherrschen, um mich sicher durch diese Welt zu bewegen.

Vor kurzem fand das „Barcamp Linz“ statt. Das war für mich eine Art Aha-Erlebnis, weil sich dort eine neue Logik des Lernens und Kommunizierens manifestierte. Die Art und Weise, wie dort miteinander gesprochen wurde, Themen diskutiert und aufbereitet wurden … das hatte nichts mit der „Hier ist der Sprecher und dort sind die Zuhörer“-Logik zu tun. Ich glaube, dass diese Kommunikations- und Lernkultur sehr stark aus den sozialen Netzwerken kommt, wo die Möglichkeiten, Dinge zu diskutieren und in Frage zu stellen und Inhalte für eigene Zwecke zu nutzen und zu verwandeln, allgegenwärtig sind. Diese Entwicklung sehe ich schon positiv. Ich habe das Gefühl, dass das Denken dadurch wieder kollektiver wird.

Es verändert sich … Jetzt gibt es nicht nur die Geldelite, die Macht ausübt, sondern auch eine Art Internetelite, die diese Kanäle gut beherrscht. Diejenigen, die teilnehmen an diesen Kommunikationsformen und diese neuen „Sprachen“ lernen, können unglaublich davon profitieren. Ich arbeite auch mit Kindern und Jugendlichen und versuche ihnen das Thema nahezubringen. Sie sollen die Medien so nutzen, dass sie, wenn sie unzufrieden sind, keine Briefmarke kaufen müssen oder ein E-Mail schreiben, sondern an die Pinnwand der Firma schreiben können: „Ihr ward Scheiße. Ich habe reserviert und keinen Platz bekommen, wie gibt’s das?!“ Das ist öffentliche Diskussion. Oder ich finde beispielsweise Antworten, weil andere auch schon zu dem gleichen Thema recherchiert haben. Doch ich vermute, dass es schon noch etwas Zeit braucht, bis das durchsickert. Vor allem wird es unglaublich lange dauern – und das macht mich jetzt schon traurig – bis sich das in unserem Bildungssystem herumspricht. Ich meine, einzelne Lehrer sind schon aktiv. Aber wie in den Instituten, wo Lehrer ausgebildet werden, unterrichtet wird … da lasse ich mich gerne auf ein Streitgespräch ein. Auch mit jedem Experten – obwohl ich mich selber nicht als einen sehe – um auf ein paar Dinge aufmerksam zu machen, die einfach nicht in Ordnung sind. Da werden Unterrichtsmethoden, die vor 20 Jahren neu waren, frontal unterrichtet – das ist ja ein Paradoxon! Vielleicht ist das irgendein Zen-Schmäh und die warten darauf, dass die Schüler aufstehen und sagen: So nicht! Aber ich glaube nicht. Diese Methodik ist so unglaublich weit von einem Barcamp entfernt …

Ich möchte nochmal auf den Beruf des Sozialarbeiters zurückkommen. War das Thema Medien immer schon präsent in der Form, wie du Sozialarbeit betreibst?

Bevor ich Sozialarbeit studiert habe, hatte ich Erfahrung in der Fernseharbeit und eine theaterpädagogische und eine Aikido-Ausbildung. Mir war klar, dass diese Dinge dazu passen. Ich erkannte sofort Anknüpfungspunkte – nicht unbedingt wissenschaftlich, sondern wie man mit Menschen in Kontakt kommt und wie man ihnen ermöglicht, etwas ganz locker zu lernen oder zu erfahren. Und zwar ohne ihnen zu sagen: „Du lernst jetzt was!“ oder „Pass auf, was der sagt. Der weiß, wovon er spricht!“. Jugendliche haben beispielsweise gemeinsam mit mir Interviews geführt und sie waren als Menschen, die in einem solchen Aufnahme-Setting eine Funktion hatten – zum Beispiel Kamerafrau oder Mikromann – einfach da. Jene Aspekte, die bei der Arbeit für sie interessant waren, haben sie aufgenommen. Beim Heimfahren im Zug oder im Auto haben sie mich dazu noch einmal befragt oder sie haben etwas zur Diskussion gebracht. Ich habe mir gedacht: So lernt man! Diese Jugendlichen haben oft schlechte Erfahrungen mit Bildung gemacht. Normalerweise sagt man ihnen: „Ich habe etwas für dich – und jetzt nimm’s!“. Mein Ansatz ist eher: „Ich brauche dich. Fahren wir gemeinsam wo hin. Dort erleben wir was. Wir fahren wieder heim und das Erlebte besprechen wir.“ Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie auf diese Weise Wissen und Know How gut aufnehmen können.

… und sie haben dabei etwas gelernt.

Entscheiden war, dass die Hierarchien einfach weggefallen sind. Der Interviewte ist zwar schon eine besondere Person … aber der Kameramann ist genau so wichtig! Bei diesen Einsätzen bin ich oft nur mehr im Hintergrund gestanden. Wenn man diese Hierarchien aushebelt oder umgeht, können Menschen mit einer Situation plötzlich produktiv umgehen. Sie haben eine Aufgabe, wie eine Kamera zu bedienen – also auch eine gewisse Rolle – und diese Rolle ist wichtig. Sie sind wichtig! Das Publikum muss sich anpassen an die Situation, die sie gemeinsam herstellen. Nicht: Die Jugendlichen müssen sich anpassen an eine Situation, in die sie geworfen werden.

Sie gestalten ihre Umgebung selber.

Sie sind die Gestalter. Ohne sie wird es nicht gestaltet.

Sie sind mitverantwortlich.

So habe ich gute Erfahrungen gemacht. Ich habe mich mit Jugendlichen, die durch alle Systeme gerasselt sind, am Sonntag um 6 Uhr morgens am Bahnhof getroffen und sie sind pünktlich gekommen. Das hat mir ziemlich getaugt. Ich habe mich darauf verlassen können, weil es ihnen wichtig war und sie wussten auch, dass sie für mich wichtig waren. Wir hatten eine Aufgabe und die konnte ich ohne sie nicht erfüllen.

Das waren keine Scheinbeschäftigungen. Da ging es um etwas.

Genau.

Kann man als Sozialarbeiter, der mit Jugendlichen arbeitet, das Thema „Social Media“ noch ausblenden? Muss man da nicht Strategien impetto haben?

Ich fände es bedenklich, wenn Menschen, die mit Jugendlichen intensiver arbeiten, nicht Bescheid wissen, dass sich die Leute viel in Netzen bewegen, warum sie dort sind und was sie dort ungefähr machen. Das wäre, als wenn alle meine Jugendlichen, mit denen ich arbeite, aus Auwiesen sind und ich kenne Auwiesen nicht und sage: „Ich lehne Auwiesen ab. Da fahre ich nicht hin. Das schaue ich mir nicht an, weil dort passiert so viel“. Genauso ist es bei Social Media, wo Eltern und LehrerInnen oft sagen: „Das ist ein Blödsinn. Das will ich mir gar nicht anschauen.“ Das finde ich eigenartig.

Du hast auch gerade die „Participate!“-Workshops durchgeführt. Was waren da deine Erfahrungen?

Da habe ich eher etwas Versöhnliches erlebt. Die Lehrer waren sehr offen und die DirektorInnen auch. Die lehnen das Thema nicht mehr ab. Sie sagen: „Es ist wichtig, dass sich die Jugendlichen und die LehrerInnen auskennen“. Eine Schule hat zum Beispiel auch eine Facebookseite. Der Betreuer dieser Seite hat gute Erfahrungen damit gemacht. Ich habe jetzt eher das Gefühl, dass es in die andere Richtung geht: Die Schulen saugen das Thema regelrecht an und wollen mehr davon wissen. Es gibt aber nicht genügend Menschen, die das transportieren beziehungsweise stellt die Politik nicht genügend Ressourcen zur Verfügung. Ich könnte von dem Job leben, wenn es erkannt würde, wie wichtig das Thema ist. Ich wäre jeden Tag an einer anderen Schule. Die zweite Erfahrung ist: Wenn man einen einzelnen Jugendlichen fragt, dann weiß der wenig. Wenn man aber eine Gruppe frägt, dann bekommt man zu fast jedem Thema eine große Fülle an Informationen. So versuche ich, dass ich nicht daherkomme und erkläre, wie das Internet funktioniert sondern die Jugendlichen recherchieren lasse. Oft wissen sie eh schon was, dann lesen sie noch etwas, ich bestärke sie und dann verarbeiten wir es gemeinsam in Form eines Produktes, das sinnlich ist und ihnen entspricht – wie ein Video oder eine Fotoreihe. Bei Fotos muss man vor dem Veröffentlichen ein paar Sachen klären. Aber Jugendliche lassen sich ja sehr gerne fotografieren. Und warum denn immer nur als Werbung für einen Club und nicht einmal als „Aufklärer“ zu einem inhaltlich wertvollen Thema?

Fotoserie HS18 Linz, Participate! Workshop

Die Fotoserie, die du ansprichst, hat mich irgendwie gepackt. Es ist ein ungewohntes Bild, so etwas im Netz zu sehen: Jugendliche, die etwas vermitteln, Spaß dabei haben …

Sie haben sich mit Facebook auseinandergesetzt, mit Mobbing und wie sie sich schützen können ohne sich einschränken zu müssen.

Ich glaube, mit euren Social Media Guides seit ihr auf einem guten Kurs. Für mich hört es sich ja so an, als ob es in erster Linie darum ginge, Rahmenbedingungen gemeinsam zu besprechen. Also dieses Uferlose aufzubrechen und zu fragen: Was wollen wir und was wollen wir nicht? – also soziale Regeln zu definieren.

So sind die Social Media Guides auch entstanden. Wir haben uns eigentlich zuerst mit den MultiplikatorInnen beschäftigt. Mit Sozialarbeitern, Jugendarbeitern und Lehrern und deren Institutionen. Ich und mein Kollege waren auch Betriebsräte in einem Sozialverein und wir haben gesagt: „Wir brauchen für die Mitarbeiter Richtlinien, damit sie wissen, was das Unternehmen gut findet und was nicht. Solange die Institution sich dazu nicht äußert, fühlen sich alle unsicher. Okay, manche finden das gut, weil sie es dann nützen können, wie sie wollen. Oft bekommt man dann über Einschränkungen nicht ausgesprochne Regeln heraus. „Aha da war eine Regel! – hat mir nie jemand gesagt, aber jetzt ist es mir klar, weil jetzt bin ich gekündigt!“ (lacht). Ich hatte bei den letzten Workshops in den Schulen auch das Gefühl, dass das Sprechen über das Thema den Jugendlichen Sicherheit gegeben hat. Und wie oft schafft man das schon? Sie haben etwas in die Hand bekommen – im wahrsten Sinne des Wortes. Die TeilnehmerInnen wissen jetzt, wie sie mit gewissen Dingen umgehen können. Das ist ja im Sinne von Widerstandsfähigkeit traumhaft. Sie haben jemanden, den sie fragen können, wissen was sie tun können und können sich darauf verlassen, dass es beispielsweise nicht so schwierig ist, aus einem Strudel von Beleidigungen etc. wieder rauszukommen. Ich glaube, das kommt auf diesen Fotos hinüber.


Über wan

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